Identität im virtuellen Raum

„Identität im virtuellen Raum“ beschreibt die Möglichkeiten der Identitätsbildung in virtuellen Gemeinschaften. Hauptsächlich konzentriert sich der Artikel dabei auf Benutzerprofile, macht aber auch einen kurzen Schwenk zum Thema „Digital Livestyle Aggregation“.

Identität ist wichtig. Besonders wenn es um Kooperationen geht, ist es unerlässlich eine Vorstellung davon zu haben, mit wem man es zu tun hat. (vgl. Axelrod 1984) Schließlich basiert Kooperation auch auf Vertrauen, und ohne Identität ist vertrauen nicht möglich.

In virtuellen Gemeinschaften wird Identität durch vier Teile gebildet:

  • Identifizierbarkeit
    Damit ein Mitglied eine Identität aufbauen kann, muss er identifizierbar sein. Das heißt, dass sich hinter einem Mitgliedsnamen auch immer nur die selbe Person verbergen darf. (vgl. Kim 2001, S.101ff.) Dies wird zum einen dadurch erreicht, dass sich Mitglieder bevor sie etwas veröffentlichen können durch ein Passwort authentifizieren müssen. Zudem dürfen Mitgliedsnamen auch nicht – wie beispielsweise bei ICQ – mehrfach vergeben werden. Viele Gemeinschaften gehen sogar so weit, dass Mitgliedsnamen im Nachhinein auch nie mehr verändert werden können.
  • Worte
    Jeder Benutzer hinterlässt durch seine verbalen Äußerungen in Form von Foreneinträgen oder Kommentaren einen Eindruck bei den anderen Nutzern. Dieser Eindruck ist nicht universell. Es kann durchaus sein, dass sich Mitglieder unterschiedlich verhalten, im Abhängigkeit davon, mit wem sie es zu tun haben – das ist nur menschlich. Häufig wird auch ein Teilnehmer noch gar keinen Kontakt mit jemandem gehabt haben, und daher auch noch keinen entsprechenden Eindruck von ihm.
  • Taten
    Als Taten kann man im Rahmen von virtuellen Gemeinschaften Beiträge ansehen (falls es in der Gemeinschaft Beiträge außer Kommentaren gibt). Sie sind neutraler als Worte. Ein Beitrag ist so wie er ist. Er verändert sich nicht in Abhängigkeit davon, wer ihn betrachtet. Er mag unterschiedlich aufgenommen werden, aber bleibt dennoch das selbe. [Anm.: Eigentlich geht es hier um musikalische Beiträge, deswegen klingt das in der allgemeinen Fassung etwas arg schwammig]
  • Profil
    Je nach Ausgestaltung ist das Profil ist eine Mischung aus Selbstdarstellung und Fremdmeinungen. In den meisten Communities ist es eine Webseite, auf der verschiedene Informationen über das betreffende Mitlied dargestellt werden. Teilweise sind es nur Informationen, die der Benutzer selber eingegeben hat (typischerweise Geschlecht, Alter, Hobbies, etc). Aber häufig sind über das Profil auch Informationen abrufbar, die das Mitglied nicht direkt beeinflussen kann. Beispiele hierfür wären Bewertungen von anderen Benutzern, oder auch einfach die Dauer der Mitgliedschaft.

Dem Profil kommt in virtuellen Gemeinschaften eine besonders große Bedeutung zu. Es ist der direkteste Weg sich einen ersten Eindruck über jemand anderen zu verschaffen. Auf einer Seite sind übersichtlich die wichtigsten Informationen über den betreffenden Benutzer aufgelistet. Daher ist das Profil meistens die erste Anlaufstelle, wenn man einem unbekannten Mitglied begegnet.

Vom Mitglied selber angegebene Informationen

Wie bereits erwähnt kann man unterscheiden zwischen selber eingegebenen Informationen und automatisch erstellten. Bei den selbst eingegebenen Informationen sollte der Benutzer frei entscheiden können, ob er einzelne Informationen überhaupt angeben will. Während die erfragten Informationen natürlich einen Bezug zu der Gemeinschaft haben sollten, ist es auch sinnvoll ein paar allgemeine Angaben machen zu können, damit die Menschen auch ein Bild von sich außerhalb des Kontexts schaffen können.

Wichtig ist außerdem, deutlich anzugeben, was mit den eingegebenen Informationen passiert. Auch wenn man dies schon im Rahmen der allgemeinen Datenschutzhinweise bei der Registrierung des Benutzers getan hat, sollte man es an dieser Stelle noch mal extra warum die Daten gesammelt werden und was mit ihnen geschieht (vgl. Kim 2001, S.105 und 117).

Es gibt keine festen Regeln darüber, welche Informationen erfragt werden sollten. Ein Grundpaket könnte beispielsweise sein:

  • Foto
    “Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“. Menschen sind sehr visuell orientierte Wesen. Über ein Foto können sie viel besser erkennen, wie und jemand gefällt, als wenn nur abstrakte Fakten zur Verfügung stehen. Man erkennt auf einen Blick den Stil der Menschen und ob sie einem sympathisch erscheinen oder eben nicht.
  • Name
    In virtuellen Gemeinschaften hat der Spitzname häufig einen höheren Stellenwert, als der Realname, also der Namen der auch im Pass steht. Dennoch sind die meisten Menschen neugierig auf den echten Namen der Mitglieder, wenn sie erst mal ein wenig mit ihnen zu tun haben.
  • Geschlecht und Alter
    Nicht nur auf romantisch orientierten Webseiten sind Geschlecht und Alter mit zu den ersten Dingen, die man sich bei einer neuen Bekanntschaft ansieht.
  • Homepage
    Immer mehr Menschen haben eine persönliche Homepage. Teilweise sind dies aufwendig gestaltete Auftritte, aber häufig Blogs, die inzwischen jeder kinderleicht bei einem der großen Blog-Anbieter einrichten kann. So eine persönliche Webseite sagt auch eine Menge über einen Menschen aus, deswegen ist ein Verweis dorthin im Profil durchaus angemessen.
  • Freitext
    In einem Bereich, den die Benutzer selber gestalten können, haben sie Gelegenheit sich selber in ihrem eigenen Stil zu präsentieren. Dabei können sie auch auf Eigenschaften eingehen, die von den restlichen Profil-Informationen nicht abgedeckt werden (vgl. Kim 2001, S.118).
  • Kontaktinformationen
    Wer will kann auch Kontaktinformationen angeben, über die er auch außerhalb der Plattform leicht erreichbar ist. Postanschriften und Telefonnummern werden nur sehr selten angegeben. Üblich sind eher Angaben über verschiedene Instant-Messenging-Dienste wie ICQ, AOL Instant Messenger, Yahoo! Messenger, MSN Messenger oder selten auch Jabber. Auch Nummern oder Benutzernamen von Internettelefonie-Diensten wie Skype tauchen immer häufiger in Profilen auf.
  • Fragebogen
    Neben diesen Grundinformationen kann man vom Benutzer auch zahllose andere Dinge erfragen. Viele Gemeinschaften haben dafür eine Art Fragebogen mit relativ vielen Fragen, die aber natürlich – wie die „Grundinformationen“ – nicht alle beantwortet werden müssen. Tendenziell sollten diese Fragen das Ziel der Gemeinschaft stärken (vgl. Kim 2001, S.117), aber um einen etwas umfassenderen Einblick in die Einstellungen und Vorlieben eines Mitglieds zu bekommen, kann man auch Fragen stellen, die mit der Gemeinschaft nicht direkt zu tun haben.

    • Wohnort
    • Beruf
    • Hobbies / Interessen
    • Lieblingsbücher / Lieblingsautor
    • Buch, das man gerade liest
    • Lieblingsfilme
    • Lieblingsbands
    • Lieblingskünstler
    • Lieblingsspiele
    • Zitat
    • Person, die man mal treffen möchte
    • Frage, die man der Person stellen würde

Wichtig ist dabei auch, dass diese Informationen aktuell sind. Veraltete Profile lassen die Gemeinschaft „verstaubt“ erscheinen. Als Anreiz für die Mitglieder, ihre Profile regelmäßig zu aktualisieren kann man beispielsweise auf einer Seite die zuletzt aktualisierten Profile auflisten. Dadurch winkt mit jeder Aktualisierung ein kurzer Moment der Aufmerksamkeit von der Gemeinschaft. Zusätzlich können Erinnerungen an die Mitglieder geschickt werden, wenn sie ihr Profil über längere Zeit nicht mehr bearbeitet haben. (vgl. Kim 2001, S. 122)

All diese Informationen muss der Benutzer selber manuell eingeben. Doch es gibt auch Informationen, die das System über den Benutzer sammelt, und die das Profil ebenfalls sinnvoll erweitern können.

Automatisch erfasste Informationen

  • Eventuelle offizielle Positionen
    Manche Mitglieder bekleiden offizielle Positionen, wie beispielsweise Chat-Moderatoren oder Administratoren. In diesem Fall sollte man das natürlich auch im Profil erwähnen. (vgl. Kim 2001, s.107)
  • Dauer der Mitgliedschaft
    Es ist für andere Benutzer sicherlich interessant zu wissen, wie lange eine Person schon Mitglied in der Gemeinschaft ist (vgl. Kim 2001, S.107 und S.124ff.). Eine lange Mitgliedschaft wirkt vertrauensbildend, da man davon ausgehen kann, dass „böse“ Menschen ihre Problematischen Eigenschaften nicht über längere Zeit verbergen können.
    Neben dieser Standard-Information kann man auch angeben, wie viel Zeit ein Mitglied wirklich auf der Plattform verbracht hat. Dies ist mindestens genauso aufschlussreich, da man dadurch abschätzen kann, wie intensiv sich das Mitglied mit der Gemeinschaft beschäftigt. Schließlich kann man aus reinen Mitgliedsdauer nicht schließen, ob diese Zeit aktiv verbracht wurde, oder ob der Zugang die meiste Zeit ruhte.
  • Zeitpunkt des letzten Besuches
    Auch diese Information ist wieder ein Hinweis auf die Aktivität. Mitglieder, die seit Monaten nicht mehr auf der Plattform waren, sind weniger interessant als Aktive.
  • Zahl und Häufigkeit von Kommentaren, Konsum und Beiträgen
    Auch dies ist wieder ein Anzeichen für Aktivität. Die Zahl der abgegebenen Kommentare (vgl. Kim 2001, S.124ff.) verdeutlicht dabei wie aktiv der Benutzer insgesamt war. Die Kommentar-Häufigkeit sollte am besten über den aktuellen Zeitraum, also beispielsweise die letzten 30 Tage, gemessen werden, damit deutlich wird, wie aktiv der Benutzer im Moment ist.
    Auch die Zahl der Beiträge anderer Mitglieder, die sich ein Mitglied angehört hat, also praktisch der Konsum, kann protokolliert und im Profil gezeigt werden. Dadurch bekommt der Leser Aufschluss darüber, wie intensiv sich das Mitglied mit den Werken anderer beschäftigt.
    Während Kommentare und Konsum mehr über die Aktivität des Benutzers in der Rolle des Beobachters aussagen, ist es auch interessant zu wissen, wie aktiv der Benutzer sich am kreativen Leben auf der Plattform – welches ja schließlich der Hauptzweck der Gemeinschaft ist – beteiligt. Die Anzahl und Häufigkeit der eigenen Beiträge ist ein guter Hinweis darauf.
  • Übersicht der neuesten und besten Beiträge
    Um schnell und einfach einen Zugriff auf die Werke eines Mitglieds zu bekommen, kann auf der Profilseite eine kurze Übersicht der neuesten Beiträge gezeigt werden. Damit der Benutzer sich auch positiv präsentieren kann, sollte man zudem noch ein paar der besten Beiträge zeigen. Dazu kann man entweder einfach eine Art persönliche Charts generieren (beispielsweise basierend auf Benutzerbewertungen), oder man lässt das Mitglied selber auswählen, welche Beiträge es präsentieren möchte.
  • Gewonnene Wettbewerbe und Auszeichnungen
    Eventuelle Auszeichnungen tragen die Mitglieder zwar sowieso schon offen mit sich herum, aber dennoch kann man ihnen im Profil noch mal einen extra Platz widmen. An dieser Stelle können die Auszeichnungen auch ausführlicher präsentiert werden, also beispielsweise mit einer kurzen Erklärung warum dem Mitglied die Auszeichnung verliehen wurde.
    Auch falls der Benutzer einen offiziellen Wettbewerb gewonnen hat, ist das Profil der richtige Ort um darauf hinzuweisen.
  • Freunde
    Die Redewendung “Zeig mir Deine Freunde, und ich sag Dir wer Du bist.“ Verliert auch in der virtuellen Welt nicht ihre Gültigkeit. Eine kleine Liste mit Links zu befreundeten Mitgliedern ist im Profil deshalb gut aufgehoben.

Digital Lifestyle Aggregation

Häufig sind auch an anderen Stellen im Internet Informationen über die Mitglieder gespeichert. Viele Menschen speichern beispielsweise Fotos auf Flickr, Lesezeichen bei einem Social-Bookmarking-Dienst oder führen ein Online-Tagebuch. Auch die Musik-Vorlieben werden bei Diensten wie beispielsweise Audioscrobbler gespeichert.

Dank der zunehmenden Verbreitung und Implementierung von Content-Syndication-Technologien und Web-Services ermöglichen diese Dienste auch anderen Plattformen, die Daten über die Mitglieder zu nutzen. Zum Beispiel stellt Flickr Schnittstellen zur Verfügung um die dort gespeicherten Fotos eines Mitglieds auch auf anderen Webseiten anzuzeigen. Social-Bookmarking-Dienste bieten die dort gespeicherten Lesezeichen in einem leicht zu verarbeitenden XML-Format an und auch die meisten Online-Tagebücher veröffentlichen die Einträge in solchen so genannten Feeds.

Diese Technik machen sich zunehmend auch Gemeinschaften zunutze. Sie ermöglicht es, dass die Mitglieder all diese Daten ohne nennenswerten Aufwand in das eigene Profil übernehmen können. Dank des „neutralen“ Datenformats fügen sich die so integrierten Inhalte nahtlos in das Erscheinungsbild der Plattform ein.

Dieses Vorgehen wird häufig Social Lifestyle Aggregation genannt, da man die verschiedenen Facetten des eigenen digitalen Lebensstil an einem Punkt zusammenführt. Andere Benutzer bekommen so über die Profil-Seite einen Einblick in das Online-Leben des jeweiligen Benutzers.

Literatur

Axelrod, Robert (1987): Die Evolution der Kooperation. München: Oldenbourg

Kim, Amy Jo (2001): Community Building: Strategien für den Aufbau erfolgreicher Web-Communities. Bonn: Galileo Press

Hammond, Tony / Hannay, Timo / Lund, Ben / Scott, Joanna (2005): Social Bookmarking Tools (I). A General Review. Online-Publikation: http://www.dlib.org/dlib/april05/hammond/04hammond.html

Hammersley, Ben (2005): Content Syndication with RSS and Atom. Beijing [u.a.]: O’Reilly & Associates

Kuschke, Michael / Wölfel, Ludger (2002): Web Services kompakt. Heidelberg [u.a.]: Spektrum, Akad. Verl.

© 2005 Florian Sander

Frühere Artikel „aus dieser Reihe“:

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  1. Pingback: Kreativrauschen

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