Das wissenschaftliche Feld des interaktiven Geschichtenerzählens (interactive storytelling) befasst sich wesentlich damit, wie man Geschichten dynamisch und non-linear erzählen kann. Der Benutzer soll Einfluss auf die Geschichte haben und sie möglichst weit verändern können. Linearität wird im Allgemeinen als Problem gesehen, weil sie die Freiheit der Benutzer einschränkt und sie in eine Richtung zwängt. Meine Masterarbeit, Linear Interactive Storytelling (englischsprachig), stellt sich die Frage, ob Linearität wirklich so schlimm ist, oder ob man Interaktivität und Linearität in Geschichten nicht doch sinnvoll kombinieren kann.
Die Grundidee ist dabei, eine Geschichte in einer simulieren Welt zu erzählen, mit der man durchaus möglichst frei interagieren kann. Der Benutzer erlebt die Geschichte aus der Ich-Perspektive und bewegt sich dementsprechend in der Welt. Die Geschichte ist jedoch so geschickt konstruiert, dass der Benutzer immer automatisch so agieren wird, wie es der Autor vorhergesehen hat.
Ein Beispiel, um die Idee etwas zu verdeutlichen: In einer Szene sieht sich der Benutzer mit einem Geiselnehmer konfrontiert, der droht, eine Geisel zu erschießen, falls sich der Benutzer nicht zurückzieht. Die Situation zeigt ausreichend klar, dass in diesem Moment keine Chance zu einer Befreiungsaktion oder ähnlichem besteht. Also wird sich der Benutzer entscheiden, sich zurückzuziehen. Er erlebt die Geschichte interaktiv und folgt seinen Entscheidungen – doch trotzdem ist der Verlauf der Geschichte selbst linear.
Der erste Teil der Masterarbeit beschäftigt sich mit Methoden der Psychologie und Dramaturgie, die es ermöglichen sollten, eine solche lineare Geschichte zu schreiben. Beispielsweise werden Konzepte von Schemas, Priming, Wayfinding oder auch Gehorsam zu rate gezogen, um das Verhalten von Benutzern entweder vorherzusagen, oder zu beeinflussen.
Doch auch die ausgefeiltesten psychologischen Tricks können das Verhalten eines Menschen natürlich nicht hundertprozentig lenken oder vorhersehen. Eine Art „geringfügige Non-Linearität“ wird auch für primär lineare interaktive Geschichten notwendig sein. Daher untersucht der zweite Teil der Arbeit sich mit non-linearen Systemen auf Strategien, die auch für lineare Geschichten von Bedeutung sein können.
Die gesammelten Erkenntnisse werden schließlich in einer beispielhaften linearen interaktiven Geschichte zusammengefasst und demonstriert.
» Linear Interactive Storytelling (PDF)
Übrigens wurde die Arbeit von den beiden Betreuern, Prof. Dr. Huberta Kritzenberger und Prof. Dr. Stephen Lowry, mit 1,1bewertet.
Juhuu! :)
Hier zwei Ausschnitte aus den Gutachten zu der Arbeit:
“Die Arbeit demonstriert ein sehr gutes und fundiertes Verständnis der herangezogenen Theorien, die nicht nur referiert, sondern vollständig in die eigene Argumentation integriert werden. Herr Sander zeigt auch, dass er in der Lage ist, auch komplexe und abstrakte Überlegungen verständlich und klar zu erklären (auf Englisch!). Die Arbeit ist übersichtlich und logisch gegliedert.“
(Prof. Dr. Stephen Lowry)
“Literaturrecherche, Literaturauswertung und Fazit, das Herr Sander jeweils zieht, gehen weit über die sonst bei Masterarbeiten zu erwartenden Leistungen hinaus.“
(Prof. Dr. Huberta Kritzenberger)