Die Qual der Wahl – Warum die Freiheit zu wählen uns unglücklich macht

Wir Menschen in den Industrienationen verfügen über den Luxus vieler Wahlmöglichkeiten. In fast allen Bereichen des Lebens können wir zwischen verschiedenen Optionen wählen – von der Wahl der Zahnpastamarke bis hin zur Wahl der richtigen Rentenversicherung.

Diese Möglichkeiten geben uns viel Freiheit, aber aus psychologischer Sicht haben sie auch Nachteile. Warum das so ist, erklärt Barry Schwartz in einem mitreißendem (englischsprachigem) Vortrag:

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Barry Schwartz ist Professor für Soziology am Swarthmore College. Er ist außerdem Autor des Buches „The Paradox of Choice“.

Für diejenigen, die sich den 20-minütigen Vortrag nicht vollständig anhören möchten, hier eine „kleine“ Zusammenfassung:

Wahlmöglichkeiten

Menschen werden mit immer mehr Wahlmöglichkeiten konfrontiert.

Supermärkte haben für jedes Produkt eine erschlagende Auswahl. Auch bei Elektronikgeräten oder Telefonen ist die Auswahl erschlagend. In den USA stellen selbst Ärzte ihre Patienten immer öfter vor die Wahl, wie sie denn behandelt werden möchten.

Durch den technologischen Fortschritt sind wir auch in der Lage, jederzeit an jedem Ort zu arbeiten. Dadurch sind wir andauernd vor die Entscheidung gestellt, ob wir denn jetzt arbeiten, oder nicht. [Hallo Laptop; es ist grade 4:00 und ich sitze in meinem Bett]

Warum Wahlmöglichkeiten Menschen unglücklich machen

All diese Wahlmöglichkeiten haben zwei negative Auswirkungen auf Menschen.

  • Lähmung statt Befreiung
    Menschen haben so viele Optionen, aus denen sie wählen können, dass sie sich nicht entscheiden können und deswegen garnichts tun. Prof. Schwartz führte hier das Beispiel einer Firma an, die ihren Angestellten verschiedene Altersvorsorgepläne anbot. Für jede 10 weiteren Fonds, die angeboten wurden, ging die Teilnahme der Angestellten zwei Prozent zurück. Sie ließen sich so mehrere tausend Dollar pro Jahr an zusätzlicher Unterstützung entgehen.
  • Weniger Zufriedenheit
    Selbst wenn wir es schaffen, eine Entscheidung zu treffen, dann sind wir mit dieser weniger glücklich, als wenn wir weniger Optionen gehabt hätten.

Dafür gibt es laut Prof. Schwartz vier Gründe:

1. Bereuhen und vorahnen des Bereuhens

Da keine Perfektion existiert, wird alles, wofür man sich entscheidet, auch Fehler haben. Man kann sich nun leicht vorstellen, dass man eine bessere Wahl hätte treffen können.

Die Folge ist, dass man die Entscheidung bereuht und so mit seiner Wahl weniger zufrieden ist – auch wenn es eine gute Wahl war.

Je mehr Optionen es gibt, desto leichter passiert das.

2. Opportunitätskosten

Hat man seine Entscheidung erst einmal getroffen, denkt man viel zu leicht darüber nach, welche Vorteile der anderen Optionen einem nun durch die Lappen gehen.

Wieder wirkt sich das negativ auf die Gesamtzufriedenheit aus – auch wenn die Entscheidung goldrichtig war. Wieder gilt: Je mehr Optionen es gab, je mehr Eigenschaften der verworfenen Alternativen gibt es zum Hinterhertrauern.

3. Steigerung der Erwartungen

Mit der Anzahl der Möglichkeiten steigen auch die Ansprüche. Wenn es 100 Jeans zur Auswahl gibt, ist man nicht länger mit einer guten Jeans zufrieden – denn irgendwo unter den zahllosen Möglichkeiten muss es doch die perfekte Jeans geben.

The secret to happiness is low expectations.

4. Selbstvorwürfe

Wenn man keine Wahl hat, ist man für die Entscheidung nicht verantwortlich. Wenn man nur ein Gerät kaufen kann, und dieses sich als schlecht herausstellt, dann kann man den Hersteller dafür verantwortlich machen. In einer Welt der endlosen Wahlmöglichkeiten fragt man sich aber „Warum habe ich mich nicht für das andere Gerät entschieden?“.

Die Verantwortung liegt so nicht mehr bei der Welt, die vielleicht unfair ist, sondern nur bei einem selbst – schließlich hatte man alle Wahlmöglichkeiten.

Die Lösung?

Eine Lösung hat Prof. Schwartz leider nicht präsentiert. Aber einen interessanten Gedanken:

Wahlmöglichkeiten zu haben ist besser als garkeine Wahlmöglichkeiten zu haben. Aber mehr Wahlmöglichkeiten machen uns unglücklicher. Die westliche Welt leidet unter zu vielen Wahlmöglichkeiten – doch die Menschen in den Entwicklungsländer leiden unter zu wenig Wahlmöglichkeiten.

Die Umverteilung des Reichtums hat dadurch zwei positive Seiten: Arme Menschen bekommen mehr Wahlmöglichkeiten und werden glücklicher. Die Reichen haben weniger Wahlmöglichkeiten und werden dadurch auch glücklicher. Für beide Seiten eine tolle Sache.

Mein Fazit

Ich glaube, Prof. Schwartz stellt so manches etwas arg einfach dar. Im Prinzip stimme ich ihm aber zu, denn ich glaube viele Menschen dürften diesem Problem in der einen oder anderen Form regelmäßig begegnen.

Ich kenne leider auch keine Lösung dafür. Ich habe aber den Verdacht, das ein gesundes Maß an Ignoranz helfen kann – denn es ist nahezu unmöglich bei jeder Entscheidung jede mögliche Folge zu bedenken und jede Option bis ins Detail zu analysieren. Dieses gesunde Maß zu finden – das ist das Problem. 10 Minuten über die Wahl des richtigen Olivenöls nachzudenken ist ungeschickt – nur 10 Minuten über die Wahl des richtigen Studiengangs nachzudenken ist dämlich.

Wie seht Ihr das? Übertreibt Prof. Schwartz mit seiner Problematik? Oder habt Ihr vielleicht Ideen, wie man mit dem Dilemma der vielen schönen Wahlmöglichkeiten besser umgehen könnte?

4 thoughts on “Die Qual der Wahl – Warum die Freiheit zu wählen uns unglücklich macht
  1. Ich stand am Anfang des Artikels vor der Wahl: Lese ich den Artikel oder gucke ich das Video. Ich habe mich für den Artikel entschieden, da ich ihn vermutlich in unter 20 Minunten lesen kann (genau gesagt in 5). Ich finde das war eine gute Entscheidung.

    Aber wie du schon richtig sagst. Es geht darum die Verhältnisse einzubeziehen. Ich persönlich habe fast immer dann unglaubliche Probleme mich zu entscheiden, wenn es entweder zu wenige Anhaltspunkte gibt oder die Wahlmöglichkeiten gleich gut zu sein scheinen. Letztendlich total bescheuert, da man in beiden Fällen einfach nicht rational entscheiden kann und es deshalb einfach lassen sollte und statt dessen seinem Gefühl vertrauen sollte. Vielleicht nicht, weil das Gefühl eine bessere Entscheidung triffe, sondern weil man sich mit diesem nachher besser fühlt.

    Ich würde da auch nicht mit Ignoranz dran gehen. Das klingt schrecklich. Ich würde mich einfach an einer Stelle versuchen etwas von den Einzelproblematiken lösen, das Gesamtbild anschauen und ich etwas losgelöst von allem entscheiden. Vor allem sollte man dabei zu sich selber stehen, was sowieso nicht nur bei Entscheidungsproblematiken gut ist.

    Das ganze es ist wohl auch eine Einstellungssache.
    1. „Die Welt ist so gross, ich werde es nie im Ansatz schaffen alles gesehen und getan zu haben.“
    2. „Die Welt ist so gross, ich kann mein ganzes Leben lang neue Dinge entdecken.“
    Ich versuche einfach immer den letzten Satz zu denken

  2. Ignoranz klingt in der Tat doof (und ist es für gewöhnlich auch), aber mir fällt leider kein besseres Wort ein. Ich finde es gibt einfach die Fälle, da muss man irgendwann anfangen, mögliche Folgen zu ignorieren, weil man sonst niemals damit fertig wird, die Entscheidung zu durchdenken.

    Dem Hinweis, dem Gefühl zu folgen, wenn man rational nicht weiterkommt, stimme ich übrigens absolut zu. :)

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