Visual Novel – Welt zwischen Buch und Film

Screenshot aus Ever17

Visual Novels sind eine vor allem in Japan verbreitete Form von Geschichten. Im Unterschied zu normalen Novellen sind sie jedoch grafisch und akustisch untermalt. Als elektronisches Medium können sie auch nur an Computern oder anderen interaktiven, multimedialen Geräten gelesen werden.

Die Geschichten an sich sind nicht viel anders als solche, die man auch in Büchern finden könnte. Sie beschreiben nicht nur reine Handlungen, wie zum Beispiel Comics, sondern auch die Gedanken der Charaktere – wie in einer Novelle eben. Sie sparen sich nur die Worte für die Informationen, die stattdessen über Bilder oder Töne vermittelt werden.

Im Gegensatz zu Novellen in Buchform kann man jedoch den Text nicht seitenweise lesen. Er wird einem stattdessen in kleinen Häppchen präsentiert. Auf jeden Mausklick erscheint dann das nächste Häppchen.

Das namensgebende Element von visuellen Novellen ist jedoch die Grafik. Das Geschehen in der Geschichte wird – mehr oder weniger detailliert – grafisch dargestellt. Meist sieht man aber nur die Szenerie, in der die Handlung gerade stattfindet, also zum Beispiel eine Halle oder einen Bahnhof oder eine grüne Wiese.

Screenshot: Narcissu

Handelnde Personen sieht man dagegen eher selten. Charaktere an sich sieht man zwar schon häufiger, aber meist sind sie in einer sehr neutralen Pose dargestellt, die häufig wiederverwendet werden kann. Sie sind ähnlich wie Avatare in Chat-Systemen oder Foren – ein generelles Abbild der Person ohne Bezug zum konkreten Moment. Stilistisch orientieren sich die Zeichner meist an den bekannten Manga- bzw. Anime-Stilformen.

Text und Grafik sind jedoch nicht die einzigen Elemente, die sich in Visual Novels finden. Auch der Hörsinn wird bedient. Die Szenerien werden mit einer angemessenen Geräuschkulisse hinterlegt. Sieht (und liest) man beispielsweise eine Strandszene, so hört man Wasser, Möwen und Wind. Auch besondere Ereignisse wie Explosionen werden mit den entsprechenden Toneffekten untermalt. Teilweise – aber nicht immer – werden auch die Dialoge vertont, sodass man die Charaktere sprechen hören kann. Eigentlich könnte man also auch von audiovisuellen Novellen reden.

Scheinbar gibt es auch Geschichten, die einen gewissen Grad an Interaktivität aufweisen. Ich kenne aber leider kein Exemplar davon (Ergänzungen sind in den Kommentaren herzlich willkommen).

Trotz dieser grafischen, akustischen und interaktiven Erweiterungen bleiben visuelle Novellen im Kern Geschichten. Der mit Abstand größte Teil der Geschichte wird im Text erzählt, darunter auch all das, was man mit Bild und Ton nicht (bzw. nur indirekt) vermitteln kann, wie zum Beispiel Gedanken und Gefühle.

Richtig stark verbreitet sind Visual Novels nur in Japan. Dementsprechend erfolgt auch die große Masse der Veröffentlichungen nur auf Japanisch. Im englischsprachigen Raum sind sie noch recht selten, aber es gibt bereits einige englische Fassungen. Eine deutschsprachige Visual Novel ist mit nicht bekannt.

Beispiele

Für viele Visual Novels gibt es auch Demoversionen. Die Demos sind auch recht umfangreich, sodass man an einer einzelnen Demo auch ein gutes Stückchen zu lesen hat. Teilweise lassen sich auch vollständige Visual Novels kostenlos herunterladen.

Felix, Gaijin

Felix, Gaijin - Titelbild

Felix, Gaijin handelt von dem deutschen Felix, der als Austauschstudent nach Japan reist. Dort kommt er langsam der japanischen Kultur und anderen Menschen näher.

Diese Visual Novel ist die – meines Wissens – einzige Deutschsprachige. Auch stilistisch ist sie ein wenig außergewöhnlich: Statt Zeichnungen bestehen die Bilder aus bearbeiteten Fotos von echten Darstellern, vor computergenerierten Hintergründen. Alle Dialoge sind vertont.

Felix, Gaijin beinhaltet ist auch ein wenig interaktiv, jedoch ist dieses Mittel eher subtil eingesetzt. Nichtsdestotrotz hat man einen echten Einfluss auf die Geschichte.

» Mehr Informationen & kostenloser Download

Disclaimer: Das ist ein wenig Eigenwerbung, denn diese Visual Novel haben ich und ein paar Kommilitonen produziert. :)

Ever17

Titelbildschirm von Ever17

In „Ever17 – the out of infinity“ zum Beispiel geht es um die Geschichte eines Jungen, der sich plötzlich in einem maritimen Vergnügungspark unter dem Meer wiederfindet. Der Park, LeMU, ist mysteriöserweise verlassen und alle Ausgänge sind blockiert. Zusammen mit vier weiteren jungen Eingeschlossenen versucht der Protagonist, aus dessen Perspektive die Geschichte geschrieben ist, hinter das Geheimnis von LeMU zu kommen – und aus der Anlage zu entkommen.

» Demoversion von Ever17

Narcissu

Titelbild von Narcissu

Narcissu ist die Geschichte zweier Patienten, die sich auf der „Station 7F“ einer Klinik für todkranke Menschen begegnen. 7F ist für gewöhnlich die letzte Station, die die Menschen noch erleben. Oder, wie die Autoren es ausdrücken:

This is a story of disease and suffering; of medication and adverse effects; of thoracotomy scars and cellular poisons; of the living who cannot help but to die and of the dying who cannot help but to live; of a resting place other than „on 7F“ or „at home“.

» Vollversion von Narcissu

Mehr

Wer mehr visuelle Novellen kennen lernen möchte, sollte mal bei Dennis‘ Visual Novel Blog vorbei schauen. Dennis stellt dort regelmäßig Visual Novels vor und beschreibt sie auch etwas ausführlicher, als ich das hier tun kann. Auch zu Ever17 und Narcissu finden sich dort ausführliche Rezensionen.

Ressourcen

8 thoughts on “Visual Novel – Welt zwischen Buch und Film
  1. Besten Dank für den Link :-) Nach dem, was ich gelesen habe, ist Interaktivität bei Visual Novels eher die Regel als die Ausnahme. Ein schönes Beispiel (in Bezug auf Grafik, nicht Interaktivität) ist „Pygmalion“:

    http://lemmasoft.renai.us/forums/viewtopic.php?t=1648

    Darin geht es um einen Comiczeichner, der eine Figur erschafft. Man kann z.B. die Charaktereigenschaften der Figur bestimmen. Die Vollversion von Ever17 bietet auch ein größeres Maß an Interaktivität (doof, dass sie das aus der Demo rausgenommen haben). Man kann dort z.B. den Protagonisten wählen (1 von 2) und navigiert sich durch eine verzweigende Handlung, in der Hoffnung, zu einem guten Ende zu gelangen. Das ist dann fast schon wieder ein Computerspiel. Auch nett und interaktiv: „The Garden Society“

    http://www.renaigames.net/games.html#gsk

    Narcissu kann ich auch sehr empfehlen (ist halt nicht interaktiv, aber hat eine Story wie ein gutes Buch).

  2. Pingback: Creation Noise
  3. Hallo,

    mir geht es um eine Kleinigkeit, die aber verheerende Auswirkungen haben kann, falls sie so – vor allem in Wikipedia – belassen bleibt.
    Visual Novel heißt ja so viel wie bebilderter Roman, oder Roman in Bildern. Das Wort Novel kommt bekanntlich aus dem Englischen und wird im Deutschen als Roman übersetzt. Man sagt auch „die Novelle“, aber eben „der Roman“. Auf Französisch ist es übrigens „le novel“. Ein weiteres Indiz für den deutschen Artikel „der“ bei dem Begriff „Visual Novel“.
    Ergo muss es auch DER Visual Novel und nicht DIE Visual Novel heißen.

    Viele Grüße,
    Andreas

  4. Schöner Beitrag und danke für die Links zu den Demoversionen. Von den hier genannten Visual Novels, habe ich bisher Narcissu gepsielt. Sehr empfehlenswert!

    Was die Interaktion in Visual Novels angeht:
    Normalerweise ist es üblich, dass man in Visual Novels ab und zu Entscheidungsmöglichkeiten hat, um den Lauf der Geschichte zu beeinflussen, um verschiedene Enden zu erreichen. Visual Novels ohne Interaktion und mit nur einem Ende (zb. wie bei Narcissu) werden auch Kinetic Novels genannt. Bei diesen geht es also nur darum, eine Geschichte zu lesen.

  5. Hatte von diesen japanischen Visual Novels schon mal gehört, bevorzuge aber dennoch weiterhin Mangas. Zumal die Manga-Cafes in Japan recht komfortabel sind – aber Schuhe ausziehen nicht vergessen, bevor Du in die kleine Box steigst ;-)

Comments are closed.