Staatsanwaltschaften verfolgen nicht mehr jede Tauschbörsen-Anzeige

Seit einiger Zeit erstatten einige Unternehmen der Musik- und Spieleindustrie massenweise Anzeige gegen Tauschbörsennutzer, die angeblich urheberrechtlich geschützte Werke der jeweiligen Unternehmen heruntergeladen haben. Der Anzeige-Prozess wurde sogar automatisiert, sodass die Staatsanwaltschaften mit zehntausenden Anzeigen überflutet wurden. (siehe Neue Klagewelle gegen Tauschbörsen-Nutzer, Hausdurchsuchungen wegen Filesharing und Wie Logistep Tauschbörsen-Nutzer jagt).

Bereits früher hatten sich betroffene Staatsanwaltschaften über diese Praktik und den daraus resultierenden Arbeitsaufwand beschwert, vereinzelt wurde die Ermittlung der jeweiligen Anschlussinhaber auch von Gerichten oder Staatsanwaltschaften abgelehnt.

Die Behörden sehen sich zunehmend von den Unternehmen missbraucht. Diese würden ein Strafverfahren nur deswegen in Gang setzen, um an die Adressdaten der Anschlussinhaber zu gelangen. Das eigentliche Interesse der Unternehmen liegt darin, kostenpflichtige Abmahnungen an die beschuldigten Schwarzkopierer zu versenden.

Berlins Oberstaatsanwältin Vera Junker erklärte in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung, warum Ihre Behörde seit Herbst 2007 solche Verfahren sofort einstellt:

Die bloße Nachfrage beim Provider wäre zwar nicht aufwändig, aber sie bringt auch nicht viel. Um herauszufinden, welche Person tatsächlich die Tauschbörse genutzt hat, müssten wir eine Hausdurchsuchung machen, den Rechner beschlagnahmen, Zeugen befragen et cetera. In einer Wohnung leben ja meist mehrere Menschen, viele arbeiten mit WLAN, das auch Fremde nutzen können, wenn es nicht verschlüsselt ist.

Diesen Aufwand finden wir gemessen an der Tat unverhältnismäßig. Wir können nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen und Grundrechtseingriffe vornehmen, die eigentlich für andere Taten vorgesehen sind. Wir machen ja auch keine Hausdurchsuchung wegen einer Beleidigung.

Nun scheint sich bei den Staatsanwaltschaften großflächig die Auffassung durchzusetzen, dass die Taktik der Rechteinhaber unangemessen ist. In mehreren Bundesländern haben die Generalstaatsanwälte Leitfäden herausgegeben, wonach nurnoch Intensivnutzer von Tauschbörsen verfolgt werden sollen.

Golem.de berichtet mit Bezug auf den Focus, dass in Nordrhein-Westfalen nurnoch gewerbsmäßige Urheberrechtsverletzungen verfolgt werden sollen. Ähnliche Leitlinien gelten auch in Bayern, Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt. Niedersachsen werde bald folgen.

In Nordrhein-Westfalen drohe erst ein Strafverfahren bei mehr als 200 schwarz heruntergeladenen Dateien. Im Bayern und Baden-Württemberg sei der Richtwert ein Schaden von etwa 3000 Euro. Sachsen-Anhalt setzt die Grenze auf 3000 Dateien oder 200 Filme.

Auch eine Gesetzesänderung, die einen privatrechtlichen Auskunftsanspruch der Rechteinhaber gegenüber Internetanbietern vorsieht und im September in Kraft tritt, wird private Tauschbörsennutzer nicht direkt betreffen. Auch dieses Gesetz begrenzt den Auskunftsanspruch auf gewerbliche Nutzungen. Inwiefern die Industrie es jedoch schafft, diesen Auskunfsanspruch zu missbrauchen, wird wohl noch abzuwarten sein…

3 thoughts on “Staatsanwaltschaften verfolgen nicht mehr jede Tauschbörsen-Anzeige
  1. Naja, das ist keine offizielle Erlaubnis zum Schwarzkopieren. Das heißt nur, dass die Staatsanwaltschaften in einigen Bundesländern lieber wichtigere Vergehen aufklären als eine handvoll unlizensierter Musik.

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