„Virtuelle Gemeinschaften“ ist eine kleine Einführung in die Thematik der Virtuellen Gemeinschaften. In diesem weiteren Unterkapitel meiner Diplomarbeit erkläre ich kurz, was Virtuelle Gemeinschaften sind und gebe ein paar Hinweise zu weiterführender Literatur.
„It’s not the content. It’s the people, stupid. Content may be why people visit a site. But community is why people stay.“ – Tom Rielly (in Hof / Browder / Elstrom 1997, S.64)
Es gibt Plätze im Internet, die Leben nicht von ihren Inhalten, sondern von den Menschen, die sie aufsuchen. Sie treffen und unterhalten sich. Manchmal kreisen die Diskussionen um externe Themen und manchmal steuern die Benutzer selber Inhalte – zum Beispiel Fotos – bei, über die man sich austauscht.
Für solche gemeinsamen sozialen Aktivitäten im Internet hat sich eine Bezeichnung (bzw. einige Variationen davon) etabliert: Virtuelle Gemeinschaften. Leider gibt es dafür allerdings keine allgemein akzeptierte Definition. Wie bei vielen anderen Begriffen auch gibt es ungefähr so viele Definitionen, wie es auch Publikationen zu dem Thema gibt. Einen guten – wenn auch nicht vollständigen – Überblick liefert Christoph Lose in seiner Arbeit „Online Communities“ (2002, S.14).
Eine der passendsten Definition stammt von Petra Schubert und Mark Ginsburg. Ihrer Meinung nach beschreiben Virtuelle Gemeinschaften „the union between individuals or organizations who share common values and interests using electronic media to communicate within a shared semantic space on a regular basis.“ (Schubert / Ginsburg 2000, S.46)
Virtuelle Gemeinschaften sind auf keine spezielle technische Form festgelegt, aber fast alle weisen mindestens folgende grundlegenden Elemente auf:
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Treffpunkte
Orte im Netz, an denen die Mitglieder sich treffen und kommunizieren können. In den meisten Fällen sind dies Forensysteme oder Chaträume, aber auch andere Kommunikationssysteme werden genutzt. (vgl. Kim 2001, S.47ff.) -
Beziehungen
Die reine Verfügbarkeit von Kommunikationsplattformen führt noch nicht zur Bildung einer Gemeinschaft. Diese – beispielsweise von Howard Rheingold vertretene – Position „has been refused on both empirical and theoretical grounds.“ (Jones / Rafaeli 2000, S.215) Um von Gemeinschaft sprechen zu können, müssen die Teilnehmer erst Beziehungen untereinander entwickeln. -
Profile
Die Mitglieder müssen sich im virtuellen Raum eine eigene Identität verschaffen. Zu diesem Zweck haben sie Profile, die Informationen über sie bereithalten. Das Spektrum reicht hierbei von simplen Textfeldern mit einer Selbstbeschreibung bis zu ausgefeilten technische Systeme mit Aktivitäts-Statistiken und vielem mehr. -
Rollen
Naturgemäß nehmen Menschen in Gemeinschaften Rollen an. In virtuellen Gemeinschaften ist dies nicht anders. Häufig ist das Spektrum auf Administratoren und Benutzer beschränkt, aber insbesondere in größeren Communities gibt auch feinere Rollenverteilungen. -
Regeln
So wie es im realen Leben Gesetze gibt, so gibt es auch in Communities Regeln. Diese sind natürlich von der einzelnen Gemeinschaft abhängig, aber immer vorhanden. Selbst wenn eine Gemeinschaft kein „offizielles Regelwerk“ anbietet, so wird sich dennoch eine Art Verhaltenskodex herauskristallisieren, dessen Einhaltung von den Mitgliedern auch verfolgt wird.
Interessanterweise sind internetbasierte Kommunikationsräume streng soziologisch gesehen gar keine Gemeinschaften. Für eine echte Gemeinschaft im soziologischen Sinn braucht es stärkere Bindungen, als sie in Internetsystemen für gewöhnlich vorkommen. Typischerweise untersteht es auch nicht der Freiheit des Einzelnen, beliebig ein- und auszutreten. (vgl. Stegbauer 2001, S. 67ff, S.92) Ein soziologisch treffenderer Begriff wäre Gesellschaft, da Gesellschaften nicht so extrem gebunden sind und eher eine gewissen Zweckorientierung aufweisen. So schreibt auch Angelo Sotira, Mitgründer von deviantART, einer der größten Online-Kunst-Gemeinschaften, recht treffend: „Community being a term people are more comfortable with. A society is what deviantART really is.“ (Sotira 2004)
Da der Begriff allerdings inzwischen in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen ist, und auch nahezu alle wissenschaftlichen Publikationen von Gemeinschaften und nicht von Gesellschaften sprechen, wird auch dieser Artikel den etablierten Begriff verwenden.
Online Communities sind – für Internetverhältnisse – kein neues Konzept. Die erste wichtige Publikation entstand schon vor über einem Jahrzehnt. Howard Rheingold veröffentlichte 1993 sein Buch „The Virtual Community“, indem er seine Erfahrungen mit der virtuellen Gemeinschaft „WELL“ und anderen Kommunikationsformen im Internet beschreibt. Spätestens als John Hagel und Arthur Armstrong 1997 dem Geschäftsmodell Community phantastische Gewinne voraussagten, entdeckte auch die Wirtschaft das Thema für sich. Inzwischen wurden virtuelle Gemeinschaften von mehreren wissenschaftlichen Disziplinen ausgiebig behandelt. Die Publikationen dazu sind so zahlreich, dass eine umfassende Darstellung des aktuellen Forschungsstandes den Rahmen dieses Artikels bei weitem sprengen würde. Ein guter Überblick hierzu findet sich beispielsweise in „Online Communities“ von Christoph Lohse (2002).
Besonders empfehlenswert ist Amy Jo Kims „Community Building“ (2001). Die Autorin schildert darin sehr praxisnah – wenn auch dafür wenig wissenschaftlich – neun Grundlegende Strategien zum Aufbau von Communities. Sie zeigt leicht verständlich die sozialen Mechanismen auf, die in virtuellen Gemeinschaften wirken, und wie man diese Mechanismen gezielt fördern kann.
Literatur
Hagel, John III. / Armstrong, Arthur G. (1997): Net Gain: expanding markets through virtual communities. Boston, Mass.: Harvard Business School Press
Hof, Robert / Browder, Seanna / Elstrom, Peter (1997): "Internet communities" In: BusinessWeek, May 5, 1997
Jones, Quentin / Rafaeli, Sheizaf (2000): "Time to Split, Virtually: ‚Discourse Architecture‘ and ‚Community Building‘ Create Vibrant Virtual Publics" In: Electronic Markets, Vol. 10, No. 4, 10/2000 S.214-223
Kim, Amy Jo (2001): Community Building: Strategien für den Aufbau erfolgreicher Web-Communities. Bonn: Galileo Press
Lohse, Christoph (2002): Online Communities: Ökonomik und Gestaltungsaspekte für Geschäftsmodelle. München: Technische Universität, Dissertation
Rheingold, Howard (1993): The Virtual Community: Homesteading on the Electronic Frontier Reading, Mass. [u.a.]: Addison-Wesley
Schubert, Petra / Ginsburg, Mark (2000): "Virtual Communities of Transaction: The Role of Personalization in Electronic Commerce" In: Electronic Markets Journal, Vol. 10, No. 1, 2000, S. 45-55
Sotira, Angelo (2004): Operating deviantART
Stegbauer, Christian (2001): Grenzen virtueller Gemeinschaft: Strukturen internetbasierter Kommunikationsforen. Wiesbaden : Westdt. Verl.
© 2005 Florian Sander
Frühere Artikel „aus dieser Reihe“: