Unsoziales Verhalten in virtuellen Gemeinschaften

Dieser Artikel ist ein Unterkapitel meiner Diplomarbeit. Obwohl er eigentlich für das in der Diplomarbeit entworfene Projekt geschrieben wurde, sollte er auch allgemeine Gültigkeit haben. Da die Diplomarbeit noch nicht abgeschlossen ist, sind Kommentare und Verbesserungvorschläge herzlich willkommen. Entweder per E-Mail oder in dem Blog-Eintrag zu diesem Artikel

Wo Menschen zusammentreffen, da gibt es auch Unstimmigkeiten. Auch jede Gemeinschaft in der Online-Welt kennt solche Probleme. Mitglieder streiten sich, beleidigen sich oder schmieden sonstige Intrigen (vgl. Reid 1999, S.107ff.; DuVal Smith 1999, S.134ff). Manche Benutzer finden auch Freude daran, technische Schwächen des Systems auszunutzen und auf diese Art andere Teilnehmer zu belästigen. Wieder andere versuchen durch überspitzt provokante Beiträge überzogene Reaktionen zu provozieren. Im Allgemeinen nennt man solche „problematischen“ Benutzer auch Trolls.

Warum diese Verhaltensweisen in Online-Gemeinschaften ausgeprägter zu finden sind, ist nicht ganz sicher. Es könnte daran liegen, dass die normalen sozialen Normen für „richtiges“ Verhalten in virtuellen Räumen nicht greifen, weil die Kommunikation dort nicht von Angesicht zu Angesicht stattfindet (vgl. Davis / Farnham / Jensen 2002). Viele fühlen sich auch in der Online-Welt anonym und denken, sie könnten für ihr Fehlverhalten nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Computervermittelte Kommunikation kann so zu dem führen, was D.L. Krebs und D.T. Miller (1985) deindividuation genannt haben, also ein Mangel an Selbstwahrnehmung verursacht durch Einflüsse wie Anonymität, Reizüberflutung und Erregung.

Dem entgegen zu wirken ist nicht ganz einfach. Eine Identifizierung der Personen sicherzustellen ist ein erster Schritt. Ohne den Eindruck von Anonymität sind Menschen vorsichtiger in dem, was sie sagen, da sie ja schließlich dafür zur Rechenschaft gezogen werden könnten. Allerdings kann man Mitglieder für gewöhnlich nicht so einfach identifizieren. Die bei der Anmeldung eingegebenen Daten auf ihre Korrektheit zu überprüfen, ist relativ aufwändig. Zudem ist es fraglich, ob man überhaupt die Personalien der Benutzer erfassen sollte. Viele Menschen schreckt dies ab, da sie um den Schutz ihrer Daten besorgt sind. Es ist aber Möglich, die IP-Nummern der Mitglieder zu protokollieren. Darüber kann man selber zwar keine genauen Rückschlüsse auf die Identität der Teilnehmer ziehen, aber im Falle von Gesetzesverletzungen, können die Behörden darüber den Teilnehmer identifizieren. Gibt man dieses auch bekannt, so sind sich die Benutzer bewusst, dass sie zumindest in extremen Fällen identifizierbar sind.

Nun wird nicht bei jedem problematischen Verhalten in der Gemeinschaft ein Gesetz verletzt. Es würde auch keinen sehr guten Eindruck machen, wenn der Betreiber der Plattform regelmäßig Mitglieder anzeigt. Daher ist es auch nötig, Möglichkeiten zur Regulierung innerhalb der Plattform zu schaffen. Zuallererst sollte man die Benutzer dazu ermutigen und befähigen, ihre Konflikte möglichst selber zu lösen. Beispielsweise kann man auf den Hilfe-Seiten der Gemeinschaft Anleitungen zum umsichtigen Umgang mit Konflikten bereitstellen. Zudem können technische Mittel wie zum Beispiel Filter den Benutzern helfen, mit störenden Charakteren umzugehen. (vgl. Kim 2001, S.231ff.)

Früher oder später werden einzelne es schaffen, den Frieden in der Gemeinschaft dennoch zu stören. Wenn die Mitglieder die Probleme selber nicht mehr in den Griff bekommen, müssen sie sich an jemanden wenden können, der ihnen hilft. Für gewöhnlich werden diese Personen Administratoren oder Leiter genannt. Diese müssen dann über die nötigen Mittel verfügen, um gegen die Störenfriede vorzugehen. In Anlehnung an Amy Jo Kim (2001, S.230ff.) sind dies:

  • Löschen von Inhalten
    Wenn der Auslöser der Konflikte einzelne Beiträge oder Kommentare sind, können diese einfach aus dem öffentlichen Bereich der Plattform entfernt werden. Es empfiehlt sich dabei, die Beiträge nicht zu vernichten, sondern eine Kopie als Beweissicherung zu speichern, für den Fall das der Konflikt mit der Löschung nicht beendet wird.
  • Befristete oder dauerhafte Beschränkung der Teilnahme
    Mitgliedern kann der Zugang zu einzelnen Bereichen oder Funktionen der Plattform entzogen werden. Fällt ein Benutzer beispielsweise häufiger durch beleidigende Kommentare auf, kann ihm die Möglichkeit zum Kommentieren genommen werden.
    Eine befristete Beschränkung entspricht dabei einer Verwarnung, die zu einer dauerhaften Beschränkung ausgebaut werden kann, wenn der Benutzer nicht einsichtig ist.
  • Befristeter oder dauerhafter Ausschluss
    Sieht man keine Hoffnung auf Besserung kann das betreffende Mitglied auch aus der Gemeinschaft verbannt werden. Auch hier gibt es wieder die Möglichkeit der letzten Warnung durch einen befristeten Ausschluss.
  • Rechtliche Schritte
    Als letztes Mittel können schließlich rechtliche Schritte eingeleitet werden. Das sollte allerdings wirklich das allerletzte Mittel sein. Ein Beispiel wäre der Fall, in dem sich ein Störenfried nicht ausschließen lässt und sich immer wieder – unter Angabe falscher Daten – neu anmeldet und Leute belästigt.

Wichtig ist dabei, dass die Administratoren nicht willkürlich handeln. Eingriffe müssen festen Regeln folgen, über die sich die Mitglieder auch informieren können. (vgl. Mayer 2004, S.218) Im Zweifelsfall müssen auch die Administratoren selbst zur Rechenschaft gezogen werden können, wenn sie ihre macht missbrauchen. Schließlich kann nichts „das Vertrauen eines Mitglieds schneller zerstören als ein Leader, der ungeschickt oder unfair vorgeht.“ (Kim 2001, S.237)

Wichtig ist auch, dass die Administratoren nur zurückhaltend agieren. Bei übermäßigem Eingreifen fühlen sich die Mitglieder sonst überwacht oder zensiert. Insbesondere beim Löschen von Kommentaren und Beiträgen, wo die Hemmschwelle zum Einsatz dieses Mittels noch relativ tief sitzt, muss man sehr vorsichtig sein. Ein solches Eingreifen wird schnell als Zensurversuch ausgelegt.

Besonderheiten bei kreativen Gemeinschaften

Neben diesen Problemen, mit denen jede Online-Community früher oder später zu tun hat, ergeben sich im Zusammenhang mit kollaborativen Kunst-Gemeinschaften auch einige spezielle Probleme, die beachtet werden müssen.

Zum einen ist es technisch problemlos möglich, fremdes und urheberrechtlich geschütztes Material auf die Plattform zu laden. Immerhin 28% aller Musiker hatten schon Probleme mit illegalen Kopien ihrer Werke im Internet und rund die Hälfte würde es auch stören, wenn ihnen das passieren würde (vgl. PEW Internet & American Life Project 2004, S. 36). Auch andere Kunst-Gemeinschaften haben regelmäßig Probleme mit Mitgliedern, die fremde Werke als ihre eigenen ausgeben.

Rechtlich gesehen ist der Betreiber der Plattform nicht dazu verpflichtet, die Inhalte auf Rechtsverletzungen zu überwachen. Es drohen ihm also keine Folgen, wenn Mitglieder rechtswidrig handeln. Er ist aber verpflichtet, etwas gegen Rechtsverstöße zu unternehmen, sowie sie ihm bekannt werden. (vgl. MDStV §6, §7, §9 )

Viele Gemeinschaften betreiben eine Art „kollektive Überwachung“. Unter jedem Beitrag ist ein Knopf, mit dem jeder Benutzer sehr einfach eine Rechtsverletzung (oder sonstige problematische Inhalte) melden kann. Ein Administrator kontrolliert die verdächtigen Inhalte daraufhin und leitet bei Bedarf weitere Schritte ein, beispielsweise indem er den entsprechenden Inhalt löscht. Wichtig ist dabei das meldende Mitglied dazu aufzufordern, möglichst exakte Angaben über die Art des Problems zu machen, damit man den Vorwurf verifizieren kann. Schließlich kennt niemand alle Kunstwerke dieser Welt und kann deshalb nicht immer jede Urheberrechtsverletzung feststellen, indem er von alleine das Original erkennt – es sei denn er kennt das Original zufällig wirklich. Man kann auch den Benutzern nicht vertrauen, dass sie immer nur wirkliche Verstöße melden. Leider ist fälschliches „Anschwärzen“ eine eigene Kategorie von Missbrauch, die durchaus vorkommt.

Zusätzlich kann man auch versuchen, die Hemmschwelle von potentiellen Urheberrechtsverletzern zu erhöhen. Dazu kann man an geeigneter Stelle darauf hinweisen, dass die IP-Nummern und hochgeladene Daten archiviert werden, und im Falle eines Rechtstreits auch an die Polizei übergeben werden können. Das wirkt dem Gefühl der straffreien Anonymität entgegen.

Ein weiteres Problem könnte von einem eventuell existierenden Bewertungssystem für die Werke ausgehen. Schon in anderen Gemeinschaften hat der Ehrgeiz mancher Benutzer dazu geführt, dass sie versuchten sich positive Bewertungen zu erschleichen. Auf deviantART schlossen sich beispielsweise Benutzer zu größeren Gruppen zusammen, um gegenseitig ihre Werke auszuzeichnen und so das System zu unterwandern. Da solche Dinge kein Rechtsverstoß und zudem häufig kaum nachzuweisen sind, kann man nur schwer etwas dagegen unternehmen. Es empfiehlt sich allerdings, die Manipulation von Bewertungen in den Nutzungsbedingungen zu verbieten, damit man wenigstens gegen die offensichtlichen Verstöße vorgehen kann.

Zusammenfassend kann man sagen, dass der Betreiber der Community zwar keine rechtlichen Probleme durch Fehlverhalten seiner Nutzer zu befürchten hat, aber dass er trotzdem bemüht sein sollte, sie so weit wie möglich zu begrenzen. Denn kaum ein Mitglied fühlt sich in einer Gemeinschaft wohl, in der man dauernd Gefahr läuft betrogen oder ausgenutzt zu werden.

Literatur

Davis, John P. / Farnham, Shelly / Jensen, Carlos (2002): Decreasing Online Bad Behavior. In: CHI ’02 Extended Abstracts on Human Factors in Computing Systems (Minneapolis, Minnesota, USA, April 20 – 25, 2002). CHI ’02. ACM Press, New York, NY, S.718-719
Online verfügbar: http://www.research.microsoft.com/vwg/papers/Bad%20Behavior%20CHI%202002.pdf

Duval Smith, Anna (1999): Problems of conflict management in virtual communities. In: Smith (Hrsg.) / Kollock (Hrsg.) 1999, S.134-163

Kim, Amy Jo (2001): Community Building: Strategien für den Aufbau erfolgreicher Web-Communities. Bonn: Galileo Press

Krebs, D.L. / Miller, D.T. (1985): Altruism and Aggression. In: G. Lindzey (Hrsg.) / E. Aronson (Hrsg.): Handbook of Social Psychology. Hillsdale, NJ: Erlbaum.

MDStV: Staatsvertrag über Mediendienste (Mediendienste-Staatsvertrag – MDStV)
Online verfügbar: http://www.lfk.de/gesetzeundrichtlinien/mediendienstestaatsvertrag/download/MDStV.pdf

Meyer, Jörg (2004): Mundpropaganda im Internet: Bezugsrahmen und empirische Fundierung des Einsatzes von virtuellen Communities im Marketing. Hamburg: Kovac

PEW Internet & American Life Project (2004): Artists, Musicians and the Internet
Online-Publikation: http://www.pewinternet.org/pdfs/PIP_Artists.Musicians_Report.pdf

Reid, Elizabeth (1999): Hierarchy and Power: Social Control in Cyberspace. In: Smith (Hrsg.) / Kollock (Hrsg.) 1999, S.107-133

Smith, Marc (Hrsg.) / Kollock, Peter (Hrsg.) (1999): Communities in Cyberspace. London:Routledge

© 2005 Florian Sander

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